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Rückblick

auf 9 Monate Bäuerinnentreff

 

Neue Medien bieten neue Möglichkeiten. Anstatt abends mit meiner Nachkommenschaft um das Fernsehprogramm zu streiten, sitze ich heute vorm Computer. Briefe habe ich immer schon leidenschaftlich gerne geschrieben.

 

So bietet mir das neue Medium eine schnellere, breitere Möglichkeit. Mit Vorliebe tausche ich mich mit anderen Bäuerinnen aus. Aus dem gesamten, deutschsprachigen Europa treffen inzwischen Mitteilungen ein. So erfahre ich, dass man im Obervintschgau auf 1700m Seehöhe im Mai den Mist „kegelt“, während man in der gleichen Zeit im Schwäbischen bereits den ersten Schnitt siliert.

 

In Nordfriesland müssen die Klauen der Schafe geschnitten werden, man kann dort bei nassen Wetter keine Gülle ausfahren, weil vor dem Damm das Grundwasser so hoch steht. Während in unserer Berggegend im Sommer die Ställe fast leer sind und die Kühe auf den Hochalmen grasen, plagt in den Ebenen die Hitze das Stallvieh. Man erfährt über Stalldurchschnitte um die 9.ooo kg je Kuh, über Hitzekoller und dass daran die Tiere verrecken können.

 

Während ich meinen Melkkübel mit den Beinen halte, den Kopf an die Flanken der Kuh lehne und zügig die paar Tiere melke, sie beim Namen rufe, denke ich an die Funktion des Melkroboters und des Futterautomaten nach, wovon ich am Abend vorher gelesen habe. Ich bin froh, dass mir mein Höflein keine schlaflosen Nächte bereitet, wie mir aus Ostdeutschland geschrieben wurde. Dort haben Familienmitglieder einer Großfamilie zusammen eine GbR gegründet, Flächen und Milchkontingente gekauft. Sie besitzen zwar x ha Grund und 200 (!) Kühe nebst Jungvieh aber die Forderungen der Bank sitzen jedem im Nacken.

 

Inzwischen weiß ich, dass man für Windkraftanlagen eine Dauerwindgeschwindigkeit von 5,8 m/sec. braucht oder hat. Ich erfahre, dass in der Eifel gerade ein Windpark gebaut wird. Ich höre von Schweineställen mit einigen tausend Ferkeln, für mich fast nicht vorstellbar. Ich erfahre wie man Grünspargel pflanzt, was Eiserhörnchen sind und wie man in Bayern Brot bäckt.

 

Im Frühjahr las ich, dass die Vils über die Ufer getreten sei, im Sommer erzählt man von Hagelunwettern in der Pfalz. Ich bekomme Anfang Juli die Schweizer Kirschenernte mit und das Rübenhacken in Bayern. Inzwischen weiß ich, wann in Grub Tag der offenen Tür ist, sehe Bilder, was dort geboten wurde und welche Wünsche dabei bei den Bauern geweckt werden. Ich weiß inzwischen, was Färsen sind, kenne die Markennamen bei Futtermischwägen, die wir ganz sicher nie brauchen werden. Ich erfahre, welche Fleckviehstierlinie schlagende Kühe hinterläßt und dass Laufställe auch massive Nachteile haben.

 

Plötzlich hör ich, dass es in Schleswig-Holstein eine Jean d´arc gibt. Nein, nicht die, welche ihr meint. Das ist ein Jungrind, das zum Symbol für Widerstand geworden ist. Inzwischen ist das weibliche Tier über ein Jahr alt. Bei einer Tierherde, die wegen BSE über Nacht abgeholt und vernichtet wurde, kalbte eine Kuh. Kurzerhand wurde von Nachbarbäuerinnen das neugeborene Kalb genommen und versteckt. Das Tier lebt, trotz massiver Schwierigkeiten von den Behörden.

 

Ich hole den Atlas und suche die Ortsangaben heraus. So finde ich den Jadebusen, doch leider das angegebene Dorf nicht. Ich erfahre, dass Amrum die größte Insel Nordfrieslands ist, dass man von dort schneller nach Dänemark fährt als aufs deutsche Mutterland. Ich finde Kitzingen, die Uckermark oder Waldshut. Inzwischen kann ich die Schweizer Ortsnamen den Kantonen zuordnen. Demnächst werde ich mir wohl einen besseren Atlas kaufen, da ich mit den dänischen Orten meine Probleme habe.

 

Trotz der weiten Entfernungen gibt es viel Gemeinsames. So sind Bauernhöfe Lebensgemeinschaften. Egal aus welcher Gegend – Partnerschaften entscheiden über Weiterbestehen oder nicht. Die Jahreszeiten geben die Arbeit vor, die Arbeiten erfordern ein ganzes Team.

 

Die Beziehung zwischen den Generationen, das miteinander umgehen, das darüber reden können, prägt die Familien. Ob man im Norden oder im Süden Zuhause ist, ob im Bergland oder in der Ebene  – überall müssen die Menschen mit den Gegebenheiten zurecht kommen. Überall kommen Kinder zur Welt, bereiten Freude und Sorgen. Überall werden Leute älter und gebrechlicher und man muß damit umgehen. Übergeber hinterlassen entweder geordnete Höfe oder plagen sich mit tausend Absicherungen herum. Weichen werden entweder für die Jungen annehmbar gestellt – oder es werden Schwierigkeiten hinterlassen.

 

Was mir noch auffällt: Frauen können herzhaft lachen. Sie versäumen nicht, andern Späßchen zu schicken. Das ist die Würze an vielen Briefen. Briefe, von Menschen, die man eigentlich gar nicht persönlich kennt. Briefe, die aber so viel Wärme ausstrahlen und die alle eines gemeinsam haben: Bäuerin sein verbindet, über Grenzen hinweg.

 

aufgeschrieben von Anna Steiner im August 2002